Infodienst 4 / Oktober 2019

der Mensa beschreibt Rückert-John den Innovationsprozess. Er geht vom Pro- blem, in diesem Fall Essensreste, über einen Lösungsvorschlag, das Experi- mentieren im Großhaushalt auf der Suche nach Alternativen bis zu einer Lösung, die sich dann in der Gesell- schaft verbreitet und somit Strukturen verändert. Bisherige Versuche, Konsumentinnen und Konsumenten durch die Vermitt- lung von Wissen zu nachhaltigerem Konsum zu motivieren, waren nicht sehr zielführend. Rückert-John stellte des- halb eine alternative und vielverspre- chende Strategie vor: Man beobachtet, wo und wie Initiativen nachhaltigen Konsums in der Gesellschaft entstehen, um von diesen Experimenten zu lernen. „Diese Innovationspotenziale für nach- haltigen Konsum sind Chancen der Hauswirtschaft, ihre Ziele umzusetzen und sich den aktuellen Herausforderun- gen zu stellen.” Im Großhaushalt schlummert ein großes Potenzial, die nachhaltige Entwicklung voranzutrei- ben, so Prof. Jana Rückert-John. Sie be- zeichnete hauswirtschaftliche Dienst- leistungsbetriebe als Experimentierräu- me, die Strahlkraft auf Privathaushalte haben. Rente für Frauen auf Sozialhilfeniveau? Prof. em. Dr. Uta Meier-Gräwe (rechts) und Prof. Dr. Christine Küster, Hoch- schule Fulda, sehen unsere Gesellschaft nicht nur vor einer Klimakrise, sondern auch vor einer Care-Krise. Und beides hängt nach Ansicht der Wissenschaft- lerinnen zusammen. Im Bereich Sorge- arbeit werde unentgeltlich auf die Res- source Frau zurückgegriffen. Leiden- schaftlich plädierte Uta Meier-Gräwe für Abschaffung der Minijobs, des Ehegattensplittings und der Steuerklasse 5. Das alles bringe Frauen Nachteile und führe zu dem großen Unterschied in der Rente von Frauen und Männern. Der Gender Pension Gap ist in Deutschland noch viel größer als der Gender Pay Gap. Meier Gräwe zitiert eine Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinsti- tuts, nach der bei bis zu 75 Prozent der heute 35-bis 50jährigen Frauen die gesetzliche Rente unter dem jetzigen Harz-IV-Niveau liegt. Es sei wichtig, sich nicht nur die tatsächlichen Ein- kommen der Frauen anzuschauen, son- dern die Einkommen aus Erwerbsarbeit im Lebensverlauf. Und dann sei es auch unbedeutend, ob man mit einem Gender Pay Gap von 21 Prozent oder dem berei- nigten Gender Pay Gap von zwei bis sie- ben Prozent rechne. Viel dramatischer sei die Lücke zwischen dem Alters- sicherungseinkommen der Frauen ge- genüber dem der Männer. „Der Gender Pension Gap zeigt das Ausmaß der Ungleichheiten”, so Meier-Gräwe. „Frauen bekommen im Schnitt die Hälf- te weniger an Rente.” Wichtig sei es, den Lebensverlauf von der Berufswahl über Familiengründung, Care-Arbeit, Wiedereinstieg und Karriereübergänge bis hin zur Rente zu betrachten. „Alle Entscheidungen haben Auswirkungen auf die weiteren Lebensphasen.” Die Professorin stellte das Erwerb- und Sorge-Modell vor. Das soll allen Men- schen ermöglichen, in den verschiede- nen Phasen des Lebensverlaufs neben der Erwerbsarbeit auch private Sorge- arbeit zu leisten. Zu dem Modell gehöre auch, dass Menschen Unterstützung be- kommen, dieses Modell zu realisieren. Politik sei gefordert, die Rahmenbedin- gungen so zu gestalten, dass Erwerbs- und Sorgearbeit für alle, die dies wün- schen, ermöglicht werden. Nur so hätten Frauen die Möglichkeit, „im Laufe ihres Erwerbslebens anständige Renten zu er- wirtschaften.” Frauen seien zwar heute berufstätig, aber viele eben in Minijobs und Teilzeitbeschäftigungen. „Wir müs- sen weg vom Zuverdienermodell hin zu einem Modell, dass es Männern und Frauen erlaubt, im Laufe ihres Lebens Erwerbs- und Sorgearbeit zu verbinden. Christine Küster, Leiterin des Kompe- tenzzentrums Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen, stellte die Potenziale haushaltsnaher Dienstleistungen wäh- rend des Lebensverlaufes vor. Menschen brauchen in unterschiedlichen Lebens- phasen unterschiedliche Unterstützung. Stehe in Zeiten der Familiengründung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund, so sind es imAlter eher die hauswirtschaftlichen Betreuungs- leistungen. Sie unterstrich, dass haus- haltsnahe Dienstleistungen auf jeden Fall attraktive Arbeitsplätze für Gering- qualifizierte bieten und Altersarmut vor- beugen können – sowohl bei denjenigen, die in dem Sektor arbeiten als auch bei denjenigen, die sie nutzen. Infodienst 4/19 8 Hauswirtschaftskongress Das Engagement geht weiter „Jetzt sind wir dran“, brachte es Doro- thea Simpfendörfer am Ende des Kongresses auf den Punkt. „Die Haus- wirtschaft kann die Agenda 2030 un- terstützen.“ Es gelte nun, die Kontakte und die Beteiligungsmöglichkeiten zu nutzen. „Werden Sie zu Botschaftern und Botschafterinnen der Hauswirt- schaft“, so ihr Schlussappell, denn „Nachhaltigkeit geht nicht ohne Haus- wirtschaft.“ Es gibt viele Gelegenhei- ten, öffentlich mehr Klimaschutz zu fordern und auf die Ungleichheiten in der Bezahlung von Männern und Frauen aufmerksam zu machen. Hier einige Termine: Global Day of Climate Actions: 29. November 2019 Equal Care Day: 29. Februar 2020 Weltfrauentag: 8. März 2020 Equal Pay Day: 17. März 2020 Welthauswirtschaftstag: 21.März 2020

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