Infodienst 5 / Oktober 2017

Infodienst 5/17 6 Armut Ankommen und das Leben sortieren Fotos: FIGR E s ist selbstverständlich, dass das Bett mit gemangelter Wäsche bezogen ist. Auch die Tüte Gummibärchen auf dem Kopfkissen gehört dazu. Das ist aber schon fast alles, was in der Einrichtung für Obdachlose im Hannoveraner Stadtteil Vahrenwald an ein Hotel erinnert. Die Zimmer in dem Aufnahmebereich sind klein, zwischen 8 und 12 Quadratmeter. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, ein Stuhl und ein Kühlschrank gehören zur Ausstattung. Bilder an den gelblichen Wänden gibt es nicht. Auf dem Boden liegt grauer PVC. Die Einzelzimmer rei- hen sich an tristen Fluren. Auf jeder Etage gibt es Gemeinschafts- sanitärräume und kleine Teeküchen mit Spüle und Herd, aber ohne Geschirr. Das bewahrt jeder Bewohner in seinem Zimmer auf. „Das Wichtigste, was wir den Menschen entgegenbringen, ist Wertschätzung”, so Christine Wilke. Als Hauswirtschaft- liche Betriebsleiterin ist sie in der Ein- richtung der Diakonie Leiterin der Ab- teilung Wirtschafts- und Versorgungs- dienste.” Diese Menschen, die hierher- kommen, haben alles verloren und jetzt müssen sie sich auch noch eingestehen, dass ihr Leben gescheitert ist”, erläutert Wilke, die seit über zwanzig Jahren hier arbeitet und das nach wie vor mit Überzeugung und großem Engagement. „Die Menschen, die von der Straße kommen, müssen erst einmal ankom- men”, so Andreas Sonnenberg, Vorstand des Vereins Werkheim, der die Einrichtung für alleinstehende woh- nungslose Männer mit insgesamt 214 Plätzen betreibt. „Und dazu gehört es, dass sich die Männer erst einmal in ein gemachtes Bett legen können”, ergänzt die HBL. „Wohnungslosigkeit ist die extremste Form der Armut”, so Andreas Sonnen- berg. 164 Plätze stehen für Männer in besonderen sozialen Schwierigkeiten und 50 Plätze für Männer, die keine Chance mehr auf ein Leben ohne Un- terstützung haben. Sie fallen unter die sogenannten „Langzeithilfen”. Sie kön- nen bleiben, solange sie noch mobil sind, das heißt alleine zum Essen gehen können und keinen Pflegebedarf haben. „Die Armut nimmt zu und das in unse- rem reichen Land”, so Sonnenberg. Es gibt zwar keine offizielle Statistik über Wohnungslose, aber laut Bundesarbeits- gemeinschaft Wohnungshilfe e.V. steigt die Zahl der Wohnungslosen. Waren es laut Statistik im Jahr 2014 335.000 so geht man von bis zu 536.000 im Jahr 2018 aus. Es gibt viele Gründe, warum Menschen wohnungslos werden. Ein Grund ist laut Sonnenberg, dass der Markt für bezahlbaren Wohnraum immer enger wird. „Schafften wir es vor einigen Jahren noch, pro Jahr etwa 40 bis 50 Männer in einer eigenen Woh- nung unterzubringen, so sind es momen- tan etwa 10 bis 15 Männer pro Jahr.” Und das obwohl die Mitarbeiter von Werkheim e.V. viel mehr Zeit für die Wohnungssuche investierten. „Wir ha- ben Kooperationen mit Wohnungs- baugesellschaften und wir treten auch selbst als Mieter auf.” Leider seien diese Bemühungen vergeblich, da es in städti- schen Bereichen viel zu wenig Ein-Zim- mer-Wohnungen gäbe. „Mit dem Stem- pel „wohnungslos” hat man auf dem Wohnungsmarkt verminderte Chancen”, weiß Sonnenberg aus langjähriger Er- fahrung. Die durchschnittliche Verweildauer in der Einrichtung beträgt etwa ein Jahr. „Dann ist meist klar, wie es weitergeht.” Die Ziele, die sich die Männer mit Un- terstützung von Sozialarbeitern stecken, können ganz unterschiedlich sein. Für viele ist es die eigene Wohnung, manche entscheiden sich für andere Hilfe, um zum Beispiel ihre Suchtkrankheit zu behandeln. Doch die angespannte Situa- tion auf dem Wohnungsmarkt führt dazu, dass die Männer länger in der Einrichtung verbleiben. „Hier verstopft gerade das Hilfesystem”, warnt Sonnen- berg. Unter Umständen müssten andere Männer abgewiesen werden, wenn gera- de kein Platz in der Büttnerstraße frei sei. „Wohnungslos und ich weiß nicht mehr weiter”, so lapidar klingen die Aufnah- mekriterien und sind doch so drama- tisch. Oft ist eine Krankheit der Aus- löser, um in die Einrichtung zu gehen. „Und wer auf der Straße lebt, wird irgendwann krank und sucht Unter- stützung”, weiß der Einrichtungsleiter. „Wir machen keine Straßensozialarbeit. Aber unsere Adresse ist bei allen mögli- chen Anlaufstellen wie zum Beispiel der Bahnhofsmission bekannt.” Entschei- dend sei, dass die Menschen die Ent- scheidung selbst treffen, hierher zu wol- len und sich eingestehen, dass sie Hilfe brauchen. Die Ursachen, dass Menschen in diese ausweglose Situation geraten, sind viel- fältig. Christine Wilke spricht von „Mehrfachproblematik”. Andreas Son- nenberg bezeichnet das Harz-IV-System als ein Risiko, um in eine finanzielle Notlage zu geraten. Bereits nach einem Jahr Arbeitslosigkeit bestehe die Gefahr, Zielgruppe der Einrichtung Werkheim e.V. sind alleinstehende wohnungslose Männer, die stationäre Hilfe zur Über- windung besonderer sozialer Schwie- rigkeiten (gem. §§ 67 ff., SGB XII) benötigen. Das Werkheim bietet sofor- tige Hilfe in einem akuten Wohnungs- notfall und individuelle sozialpädagogische Unterstützung bei der persönlichen Lebensplanung. Ziel ist, die Rückführung in eine eigene Wohnung oder die Vermittlung weiter- führender Hilfen.

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